MORBILE von Caroline Günther
der Morbile INFO-Flyer als pdf
FÜR Vegetarier_innen
Tierrechtsaktivist_innen
Fleischesser_innen
Esoteriker_innen
Schaman_innen
Selbst-/Kritiker_innen
Menschen mit Humor
Ästhetiker_innen
Rebell_innen
Hundehalter_innen
Kreisfetischist_innen
Grenzgänger_innen
Dekonstruktivist_innen
Veganer*innen nicht, außer wenn sie auch Tierrechtsaktivist*innen sind vielleicht !
ALS Geschenk
Statement
Deko
Ikonografie
Spiegel
Totem
Glücksbringer
Schutz
Nonsens
zur
Erzeugung von Anerkennung durch die Zurschaustellung von Überfluss
als
ach, überleg dir das doch selbst
morbiles sollen Spaß machen.
Sie sollen bunt, lustig und leicht sein, sie sollen an Kinderverse
erinnern, an Grashüpfer und ein blühendes Feld und auf den ersten Blick verdecken, was sie auf den
zweiten Blick sind:
Knochen! Ein totes Tier! In jeder Hinsicht ein Abfallprodukt! Aber morbiles
sind bunt, lustig und leicht und machen Spaß. Und darauf kommt es an. Denn das macht sie nicht
nur viel weniger schrecklich. Das macht sie richtig schön.
Ein morbile ist ein upcycling-Produkt, Abfall, der zum Dekoartikel aufgestylt wird. Statt wegwerfen
etwas Neues machen. Das ist schön. Oder die Verschiebung auf der Bedeutungsebene, die sich
vollzieht, wenn ein an den Tod gemahnender Knochen zu einem Moment stiller Freude wird, dann
ist das auch schön. Oder man plötzlich Ernährungsweise und Konsumverhalten hinterfragt und sich
bewusster positioniert, nur weil da ein paar bunte Knochenmobiles von der Decke baumeln. Schön.
morbiles sind für mich wie ihre Geschwister, die Gummibärchen: bunt und süß, eine Versuchung,
aber mit Gelatine halt. Meint: Schön, aber nicht ohne Vorbehalt.
morbiles verkörpern das Bewusstsein der eigenen Entscheidung und die damit verbundene
Selbstreflexion. Sie können von Fleischesser_innen aufgehängt werden mit der Botschaft: »Für
mich müssen Tiere sterben, ja, und ich stehe dazu.« Oder von Tierrechtsaktivist_innen unter dem
Banner »Stop eating Animals!«. Sie können von Esoteriker_innen geschätzt werden für ihren
Karmaausgleich, von Menschen erworben werden, einfach nur weil sie sie schön finden, oder aber
um auf ausbeuterische Verwertungsgesellschaftsstrukturen aufmerksam zu machen. Welche
Aussage dahinter steckt, ist letztlich egal. (Denn wer bitte hat das Recht über die Meinung anderer
zu werten?!) Wichtig ist, dass du bereit bist, sie zu vertreten, wenn du darauf angesprochen wirst.
Und mit einem morbile in der Wohnung kannst du davon ausgehen, dass das passiert.
Dabei hat ein morbile weder Sinn noch Nutzen. Es bringt kein Glück und beschützt dich nicht. Es
wehrt keine bösen Träumen ab und reinigt nicht dein Karma. Es macht die Welt nicht gerechter und
aus dir keinen besseren Menschen. Es ist einfach eine Rinderbeinscheibe mit Farbe drauf und Kram
dran. Aber wenn ich sie nicht bemalt und du sie nicht erworben hättest, läge sie längst im Müll -
und das wäre auch nicht besser.
Die Rinderbeinscheiben stammen von Personen aus meinem Bekanntenkreis und einem Metzger
meines Vertrauens. Sie wurden für die Küche angeschafft, für Marksklößchen oder Fleischbrühe.
Nicht für mich.
Ich ernähre mich seit gut fünfzehn Jahren vegetarisch.
Was ich aber mache, ich treibe den totalitären Verwertungsprozess des Rindes weiter, indem ich die Marksknochen aus dem Müll hole und erneut verarbeite, - immer weiter, selbst das letzte Stück Tier muss ausgeschlachtet, muss verwertet werden -, zu was aber? Was bitte soll eine bunte Rinderbeinscheibe in einer Wohnung? Sie soll die Verwertungs- und Ausbeutungslogik subvertieren, der sie folgt. Ein morbile soll tun, nicht sein.
Aber weiter:
Ich koche die Rinderbeinscheiben erneut aus - mit sperrangelweit offenen Fenstern,
einer sabbernden Katze um die Füße und Brechreiz im Hals. Wenn ich die letzten Fleisch-, Fett und
Faserreste in Detailarbeit abgekratzt habe, trockne, reinige und bleiche die Marksknochenscheiben
mit Wasserstoffperoxid. Dann bemale ich sie mit wetterfestem Acryl-Lack, bohre und beschmücke
sie mit Perlen, Glocken, Zufälligem, Bedachtem und auf der Straße Gefundenem. Form und Gestalt
der Knochen bleiben unbearbeitet.
Wenn die morbiles fertig sind, hänge ich sie an meine Küchenlampe, setze mich davor und schaue
sie an. Lang. Ich erfreue mich an dem Gefühl, das der Bruch, den sie erzeugen, hervorruft. Denn
morbiles markieren Brüche mit gängigen Wahrnehmungsmustern und transformieren Bedeutungen.
Sie wirken direkt an sprachlichen Zeichen und werden dadurch zu Poesie. Jedes morbile ist ein
Gedicht.
Aber nicht jedes Gedicht handelt von der Liebe. Manches behandelt den Tod.
Und weil sich von außen nichts ändern lässt, muss ich mich mitten hinein begeben, dorthin, wo es
ungemütlich ist und schmerzt. Im Diskursstrang muss ich bleiben, um ihn zu subvertieren.
Ich gehe den Weg also erneut. Vom Züchter über die Schlachtbank bis auf den Teller. Und verbleibe
in der gängigen Verwertungslogik. Nur den Mülleimer lasse ich zu. Kritisiere damit den Konsum
und treibe die Ausbeutung auf die Spitze. Bis nichts mehr übrig bleibt, nicht einmal Sinn.
Dekonstruktion nenne ich das, mit dem Ziel der Resignifizierung. Allein dafür hat sich mein
Studium gelohnt.
Also:
Die morbiles bekommen keine Titel, wie in der Kunst sonst gängig, sondern werden durchnummeriert wie bedeutungsloses Vieh. Zur Kennzeichnung bekommen sie eine Ohrmarke
verpasst, - da könnte ja jede_r kommen -, und am Fleischerhaken aufgehängt, wo auch sonst.
Verpackt werden sie schließlich in einer Burger-Box - klar, denn schnell muss es gehen, keine Zeit,
vor allem keine Zeit zum Denken.
Und:
Geschluckt? Oder doch: Schwer zu verdauen?
Ob so oder so:
Guten Appetit !